Müller: "Den Extrameter gehst du nicht, weil es dir jemand sagt"

28.05.2024 15:00

Wenn Thomas Müller das Podium betritt, ist gute Laune vorprogrammiert. Der Nationalspieler machte in den ersten Tagen im EM-Trainingslager in Blankenhain schon seine berühmten Späße. Nun sprach der Bayern-Spieler nach der ersten "vollen" Traininsgeinheit am Dienstagvormittag auf DFB.de über die anstehende Heim-Europameisterschaft und seine Ziele mit der deutschen Nationalmannschaft.

Thomas Müller über...

... die Qualität der Mannschaft: Ich bin froh über die Ergebnisse im März. Aber wir müssen selbst dran glauben, dass wir die Großen schlagen können. Es ist unbestritten, dass wir Spieler auf internationalem Topniveau haben. Wir brauchen uns nicht zu verstecken, aber auch nicht so tun, als ob uns alles zufliegt. Es geht um mehr als den schönen Schlenzer in den Winkel. Es geht um den Extrameter, darum, wie sehr man den Mitspielern aushilft. Damit ist nicht gemeint: 11 Freunde müsst ihr sein. Sondern darum, dass jedem bewusst sein muss, was es braucht, um mannschaftlich erfolgreich zu sein. Es braucht Charaktere, die wissen, dass man frech sein muss, aber auch demütig. Es geht auch nicht um einen starken Bayern-Block, sondern dass Spieler mit dem Selbstverständnis anreisen, Spiele zu gewinnen, dass Spieler ihre Automatismen einbringen, die funktionieren.

... die Rollengespräche mit dem Bundestrainer: Es ist immer einfach, das bei erfolgreichen Turnieren als Erfolgsrezept herauszustreichen. 2010 war es von Natur aus klar, was Sache ist. Die Spieler haben sich mit ihren Leistungen im Verein und den Qualitätsunterschieden selbst in die Rollen befördert. 2014 war es auch klar, das wurde von Joachim Löw auch gut kommuniziert. 2012 waren die Dortmunder in der Meisterschaft und im Pokal tonangebend und sind mit entsprechenden Erwartungen zur Nationalmannschaft gereist. Löw hat aber auch den Bayern-Spielern Vertrauen geschenkt. Da gab es stimmungsmäßig mehr Anspannung. Man ist in seiner Rolle nie ganz fest, wir befinden uns im sportlichen Wettbewerb miteinander. Aber wichtig ist, die erste Idee des Trainers zu wissen, ob man eher vorne oder hinten dran ist, damit es eine halbe Stunde vorm Spiel keine Enttäuschungsmomente gibt. Das könnte das Spiel beeinflussen. Deshalb ist das eine gute Maßnahme vom Trainer.

... seine eigene Rolle: Man weiß, wie ich durchs Leben gehe. Dazu habe ich eigentlich immer positives Feedback erhalten. Das ist nicht künstlich, ich will selbst Spaß haben. Aber es geht auch um Arbeit, Erfolg, sich verbessern, andererseits um Lockerheit, den Spaß am Spiel. Den Extrameter gehst du nicht, weil es dir jemand sagt, sondern weil du es fühlst. Das versuche ich vorzuleben. Ich habe nicht den Auftrag, jemanden zu unterhalten, denn nur durch Unterhaltung kommt man nicht weit. Es geht hier auch ums Integrieren, damit jeder seine sportliche Leistung einbringen kann. 

... seine sportlichen Qualitäten: Man weiß, was ich kann. Ich bin ein berechenbarer Spieler, ich mache seit 15 Jahren immer das gleiche. Aber wenn ich auf die Statistiken schaue, bestätigt mich sogar die letzte Bundesliga-Saison. Beim Chancen kreieren und den expected goals auf 90 Minuten gesehen: Ein bisschen kann er schon noch, der alte Onkel.

... die Wichtigkeit des EM-Eröffnungsspiels: Das Eröffnungsspiel ist immer wichtig. Es ist eine Initialzündung für die Mannschaft. Du arbeitest genau auf dieses eine Spiel hin, machst dir dazu die meisten Gedanken, dass es da gut gehen soll. Das löst die Fesseln.

... das angekündigte Karriereende von Toni Kroos: Ich werde mich noch nicht bedanken. Es ist noch nicht fertig. Wir haben noch eineinhalb Monate vor uns. Wir kennen uns sowohl privat als auch auf dem Platz sehr gut. Wir standen schon in der A-Jugend gemeinsam auf dem Rasen. Wir sind beide Spieler, denen es immer nur um den Fußball ging, bei denen der Fußball im Mittelpunkt steht. Ich kann fühlen, wie er die Spiele bestreitet und wie er sich gibt.

... ein eigenes mögliches Karriereende: Ich denke selbst noch nicht ans Abtreten, nur an die Aufgaben, die vor uns liegen. Was danach passiert, wird man sehen. Am Rücktritt war ich nie wirklich dran, am Verabschieden schon. Nach Katar habe ich nicht gewusst, ob ich in die Nationalmannschaft zurückkomme. Das kann man ja nicht buchen. Ich habe in dem Interview versucht, meine Emotionen widerzuspiegeln. Ich fühle mich hier immer wohl und bin immer stolz und froh, zur Nationalmannschaft zu fahren und alles reinzuwerfen.

... die angeschlagenen Sané und Musiala: Jamal und Leroy stehen für die besonderen Aktionen. Und wenn du immer Schmerzen mit dir rumschleppst, ist das nicht förderlich und nicht einfach für sie. Aber sie haben gebissen, sind dran geblieben und tun alles dafür, schnellstmöglich zurückzukommen. Sie legen auch Extraeinheiten ein. Ich glaube schon, dass es bis zum Turnierstart was wird mit den beiden. 

... Rocco Reitz und Brajan Gruda: Sie sind beides talentierte Spieler mit besonderen Fähigkeiten. Sie sind körperlich sehr stark, können laufen und wirklich Fußball spielen. Und sie können leiden. Jetzt geht es noch um die Konstanz.

... die Atmosphäre in Thüringen: Die Vorfreude ist da, nicht nur bei mir. Die ganze Mannschaft freut sich auf die anstehenden Aufgaben, darauf, dass es endlich los geht. Es ist ja so, dass schon ab Weihnachten viel über das Turnier gesprochen wird. Da machen wir Spieler uns auch Gedanken. Und wenn es los geht, freut man sich, dass man zusammenkommt. 

... Fan-Euphorie: Die Region freut sich. Da haben die März-Länderspiele ein bisschen geholfen. Das Fußball-Land freut sich. Die Ankunft hier in Thüringen war top. Dass hier die Leute mit Deutschland-Trikot rumlaufen, ist für mich das Normalste der Welt. Ich war selbst jemand davon. Für mich war klar, dass man im Vereins- oder Nationalmannschaftstrikot rumläuft. Es gibt keine Alternative für mich, als aus dem Häuschen zu sein. Ich würde mir wünschen, dass die Fans die EM nutzen, um so viel Spaß wie möglich zu haben, Freude zu erleben. Wenn die Nationalmannschaft einen Funken dazu bereitet, sollte man den dankend annehmen und uns möglichst unterstützen. Wir wollen aber auch die Spiele liefern, bei denen es auch den kritischeren Geistern gelingt zu applaudieren.

... das öffentliche Training: Wir haben vor voller Hütte trainiert. Das war fantastisch! Aber schon so fantastisch, dass es schwierig war zu trainieren, weil es so laut war, dass man nur schwer die Traineranweisungen hören konnte. Das war ein gelungener Auftakt mit La-Ola-Wellen inklusive.